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Weihnachten mit Sophie Scholl

Impulse zu einer Krippe von Sophie Scholl an Weihnachten 2022

Bild:

Diese Wandkrippe fertigte die künstlerisch begabte Sophie Scholl mit der Laubsäge und schenkte sie ihren Eltern zu Weihnachten 1940. In diesem Jahr hatte sie in Ulm Abitur gemacht und eine Ausbildung zur Kindergärtnerin in Söflingen begonnen.

Ihre Krippe ist eine eigenwillige Darstellung des Weihnachtsereignisses. Sie zeigt einen Nadelbaum, doch ist er nicht als Christbaum geschmückt. Es gibt eine Mutter mit Kind, aber die beiden sehen ganz anders aus als herkömmliche Bilder von Maria mit dem Jesuskind. Statt Ochs und Esel sieht man Kaninchen, Eichhörnchen und ein Reh (der Kopf ging verloren). Statt Hirten und Königen kommen ein Mädchen und ein Bub zu Besuch.

Diese Handarbeit erzählt viel über die Spiritualität von Sophie Scholl. Familiär ist die Jugendliche von der Mutter her mit der biblischen und bürgerlichen Weihnachtstradition vertraut. Aber sie übernimmt die klassischen Formen des Christfests nicht einfach. Sie sucht nach einem eigenen, tieferen Verhältnis zur Tradition.

Ihre Naturverbundenheit drückt sich in der großen Tanne aus, vor der sich die Szene abspielt. Der Baum, die Tiere des Waldes und die Menschen bilden eine natürliche, märchenhafte Einheit. Das Erbe der Romantik, das Zurück zur Natur, das sich hier zeigt, lebte Sophie intensiv. Sie kletterte in die Wipfel der Bäume, durchstreifte die Wälder und verbrachte viel Zeit im Freien.

Natürlichkeit zeigt sich auch in der Mutter mit Kind. Einfachheit, schlichte Kleidung, ein simpler Schemel stehen für eine Konzentration aufs Wesentliche. Diese Reduzierung ist mehr als künstlerische Vereinfachung, sie ist ein Programm. Sie zeigt unverstellt das Wunder des menschlichen Lebens. Und transportiert zugleich die Grundbotschaft von Weihnachten: im Kind kommt Gott einfach bei den Menschen an.

Statt Gold und Spezereien erhält das Neugeborene als Geschenk eine schlichte Gabe und ein Lied auf der Flöte. Sophie Scholl musizierte selbst, spielte Blockflöte und machte daraus sogar einen Akt des Widerstandes. Als ihr Vater wegen Kritik an Hitler eingesperrt wurde, flötete sie vor dem Gefängnis die Melodie von „Die Gedanken sind frei“.

Steht sie da selbst in diesem Ereignis der Geburt eines Gotteskindes? Hat sie sich mit ihrem Bruder Hans an der Krippe platziert? Beide haben damals in Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus den christlichen Glauben neu für sich entdeckt und daraus Kraft und Motivation für ihre widerständige Haltung geschöpft. Identifizierte sich „der Soffer“ – so ihr Spitzname – gar mit dem Flöte spielenden Jungen? Sie trug eine kurze Bubenfrisur und nahm gerne Haltungen ein, die in ihrer Zeit für Mädchen untypisch waren. In diesem Infragestellen hergebrachter Geschlechterrollen war sie ein moderner Geist.

Modern war auch ihr Glaube, geprägt von Ringen und Suchen: „Wenn ich die Menschen um mich herum ansehe, und auch mich selbst, dann bekomme ich Ehrfurcht vor dem Menschen, weil Gott seinetwegen herabgestiegen ist. Auf der anderen Seite wird mir dies dann immer am unbegreiflichsten. Ja, was ich am wenigsten an Gott begreife, ist seine Liebe. Und doch, wüsste ich nicht von ihr! O Herr, ich habe es sehr nötig, zu beten, zu bitten. Ja, das sollte man immer bedenken, wenn man es mit anderen Menschen zu tun hat, dass Gott ihretwegen Mensch geworden ist. Und man fühlt sich selbst zu gut, zu manchen von ihnen herabzusteigen!“ – das schrieb Sophie Scholl am 12. Februar 1942 in ihr Tagebuch. Ein Jahr später wurde sie von den Nazis ermordet.

Mit ihrem kleinen Kunstwerk, ihren Worten und ihrem Lebenszeugnis macht uns Sophie Scholl Mut, Weihnachten für uns persönlich zu entdecken. Wie würden wir eine Krippe gestalten, die unserem Bild dieses zentralen christlichen Ereignisses entspricht: Gott kommt bei den Menschen an?

Die Veranstaltung „Unruhig ist unser Herz“ gedenkt an ihrem 80. Todestag Sophie und Hans Scholl und zeigt auf, wie Augustinus sie in ihrer Glaubenssuche geprägt hat. Aschermittwoch, 22. Februar 2023, 19.30 Uhr, in Ulm, Bischof-Sproll-Haus, Olgastr. 137 und online-Übertragung.

Zitat von Sophie Scholl aus ihrem Tagebuch, Blumberg, 12. Februar 1942, abgedruckt in: Inge Jens (Hg.), Briefe und Aufzeichnungen. Hans Scholl; Sophie Scholl, 1984, S. 252.

Bild: Wir danken dem Stadtarchiv Crailsheim, dem die Krippe von Sophies Schwester Elisabeth übergeben wurde, für die Abdruckerlaubnis der Aufnahme.

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